Kurze Kultur-Tour: Mit den Kahler Wanderfreunden über den jüdischen Friedhof

Birgit Bergmann
Birgit Bergmann hat die Aufmerksamkeit der interessierten Zuhörer sicher

Am 18. Februar hatten wir die Wanderer aus Kahl zu Gast in Großkrotzenburg. Unsere Wanderfreunde aus Kahl wanderten bereits um 10 Uhr morgens los, zwei 2 Stunden lang durch unsere schönen Heimatwälder. Die Großkrotzenburger Wanderer hatten sich für 12 Uhr am Bahnhof (Waldseite) verabredet, um die Gäste aus Kahl dort in Empfang zu nehmen. Wer allerdings pünktlich zum ersten Mittags-Glockenschlag am Bahnhof eintraf, konnte nur noch entfernt die „Rücklichter“ der Wandergruppe erahnen, denn: Tourenführer Manfred Kremer ging seinen Gästen mit offenen Armen entgegen, wie es sich für gute Gastgeber gehört :-). Für die ortskundige krotzebojer „Nachhut“ stellte der Einholmarsch vom Bahnhof zur Gruppe aber kein Problem dar, denn sowohl Wegstrecke als auch Ziel waren ja hinreichend im Vorfeld kommuniziert worden.

Edelweisser unter sich
Edelweisser unter sich: Kahler und Krotzebojer vereint beim Wandern durch den schönen Heimatwald

So war der Tross schnell eingeholt und es ging gemeinsam auf den jüdischen Friedhof im Niederwald. Manfred hatte extra für unsere Führung den Schlüssel bei der Gemeindeverwaltung beantragt, da dieser heilige Ort aus gutem Grund sonst verschlossen ist. Mit einem kurzweiligen Vortrag gelang es Birgit Bergmann, die historischen Fakten mit gebührender Ehrfurcht und großem Respekt den ca 30 Teilnehmern näherzubringen. So lernten die geneigten Zuhörer Interessantes über das Judentum im Allgemeinen, als auch über die jüdische Gemeinde in Großkrotzenburg im Besonderen: Wussten Sie z.B., dass die erste schriftliche Erwähnung einer jüdischen Gemeinde in Großkrotzenburg im Jahre 1630 erfolgte? Der jüdische Friedhof stammt wahrscheinlich auch aus dieser Zeit, aber sein genaues Entstehungsdatum ist unbekannt. Der älteste erhaltene Grabstein zeigt als Todesdatum jedenfalls das Jahr 1811. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass im Gegensatz zu den meisten christlichen Gräbern die jüdischen Gräber niemals eingeebnet werden. Die Verstorbenen erwarten darin den Jüngsten Tag mit der Wiederauferstehung der Toten durch die Allmacht Gottes. Dies ist einer der Gründe, warum es so viele alte jüdische Friedhöfe gibt.

Ort der Stille
Jüdische Gräber werden niemals eingeebnet.

Der Bau der Synagoge in der Steingasse im Jahre 1826 gilt als Zeugnis eines etablierten Gemeindelebens. Die jüdische Gemeinde war integriert in das alltägliche Leben in Großkrotzenburg mit gemeinsamer Arbeit und gemeinsamer Freizeitgestaltung z.B. in Vereinen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten ca. 160 Juden in Großkrotzenburg. Während des Nationalsozialismus wurde die jüdische Gemeinde in Großkrotzenburg durch Vertreibung und Ermordung ausgelöscht.
Heute im Jahre 2018 bleiben die 150 erhaltenen Grabsteine des jüdischen Friedhofs: stumme Zeugen für die einst so lebendige jüdische Gemeinde; ergreifende Gedanken, die einen nachdenklich innehalten lassen.

Jüdischer Friedhof Großkrotzenburg
Manchmal bedarf es keiner Worte.

Voller Lebensfreude und Liebe klingen als Kontrast die Übersetzungen der hebräischen Inschriften der Grabsteine selbst: Da ist die Rede von liebevollen Ehefrauen und Müttern, fleißigen Arbeitern und von Lob nicht sparenden Nachrufen. Wer sich hierfür näher interessiert, dem sei ein Buch herausgegeben vom Arbeitskreis „ehemalige Synagoge Großkrotzenburg“ empfohlen. Darin wird die Geschichte der jüdischen Gemeinde und des Friedhof detailliert beschrieben. Die Übersetzungen der hebräischen Inschriften der Grabsteine sind darin enthalten. Mit den Worten des Buchtitels enden übrigens alle hebräischen Grabinschriften: „Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens“. Diesem herzlichen Wunsch schließen wir uns nur zu gerne an.

Zwei Grabsteine waren aufällig versehen mit einer besonderen Symbolik: Zwei segnenden Hände mit charakteristischer Fingerhaltung eines bestimmten Priestergeschlechts. Diese Symbole weisen auf die entsprechende Abstammung des Verstorbenen hin.

Segnende Hände
Zwei segnenden Hände mit charakteristischer Fingerhaltung eines bestimmten Priestergeschlechts weisen auf die entsprechende Abstammung des Verstorbenen hin.

Die abgebildete Handhaltung basiert auf dem sogenannten „aaronitische Segen“. Dieser Segen ist orthodoxen Juden so heilig, dass es um den berühmten Science-Fiction Helden Mr. Spock einmal richtig Wirbel gab: Mr. Spock- Darsteller Leonard Nimoy hatte nämlich einmal unbedacht geäußert, dass ihn dieses Symbol inspiriert habe zu Mr. Spocks berühmten Abschiedsgruß – (sorry Birgit, aber das musste rein – „live long and prosper“. Ich persönlich finde den Gedanken übrigens schön, dass Mr. Spock seine Gesprächspartner segnet auf dem langen Star Treck.)

Als die Wanderer ihre Tour wieder langsam in Richtung Wanderheim am See aufnahmen, mussten sie die vielen bewegenden Momente durch regen Austausch erst einmal verarbeiten und sacken lassen. Gegen 13:30 Uhr kehrte die große Wandergruppe schließlich zur Schlussrast in unser Wanderheim am See ein. Vergnügungsausschuss-Leiterin Martina Riedel hatte mit Brigitte und Doris bereits leckere, deftige Leckereien vorbereitet (Rippchen und Würstchen mit Kraut).

Stärkung im Wanderheim
Stärkung im Wanderheim: Der Austausch in der Gemeinschaft tat gut beim gemeinsamen Verarbeiten der Eindrücke

Als Nachtisch warteten bereits leckere selbstgebackene Kuchen (an dieser Stelle vielen Dank an Martina und ihre Helfer vor und hinter den Kulissen). Insbesondere gilt unser Dank Tourenführer Manfred Kremer für die gelungene Tour und seiner Tochter Birgit Bergmann für den interessanten Vortrag.
Unseren Wanderfreunden aus Kahl hat der Besuch in Großkrotzenburg gut gefallen. Wir werden das partnerschaftliche Verhältnis beider Vereine zukünftig sicherlich weiter ausbauen und noch die ein oder andere gemeinsame Tour planen. Denn gerade daran, wie wichtig eine funktionierende Gemeinschaft ist, wurden wir heute erst wieder erinnert. In diesem Sinne Frisch Auf!

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